Die letzten Tage der Berliner Gasstraßenlaternen

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Jul 10, 2023

Die letzten Tage der Berliner Gasstraßenlaternen

Es ist ein warmer Frühlingsabend auf dem Chamissoplatz, einem grünen Platz in Berlin

Es ist ein warmer Frühlingsabend auf dem Chamissoplatz, einem grünen Platz im Berliner Bezirk Kreuzberg. Während sich das Gemurmel der Gespräche aus den örtlichen Restaurants mit dem Kinderlachen auf dem nahegelegenen Spielplatz vermischt, geschieht etwas magisch Alltägliches. Es beginnt gegen Sonnenuntergang mit dem Klickgeräusch der beliebten Gaslaternen der Nachbarschaft. Dann kommt der vertraute goldene Glanz, in dem die Berliner seit fast zwei Jahrhunderten leben.

Doch in der Stadt, in der mehr als die Hälfte aller funktionierenden Gasstraßenlaternen der Welt stehen, verblassen diese Bilder schnell. Seit 2011 arbeitet die deutsche Stadt daran, sie auf LED-Alternativen umzustellen – ein Prozess, der durch den Klimawandel und den Krieg Russlands gegen die Ukraine wieder in den Fokus gerückt ist – und Naturschützern das Gefühl vermittelt, dass Berlin etwas von enormem kulturellen und praktischen Wert verliert.

Gaslaternen gehören zum Stadtbild, seit sie 1826 erstmals Berlins zentrale Prachtstraße Unter den Linden erleuchteten. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in der Stadt rund 80.000 Gaslaternen. Dieser Konflikt zerstörte etwa 80 Prozent der Berliner Straßenbeleuchtungsinfrastruktur, aber im Gegensatz zu den meisten europäischen Nachkriegshauptstädten restaurierte Berlin die Gaslampen, anstatt sie durch modernere Beleuchtung zu ersetzen, insbesondere in der Westhälfte der Stadt. Die West-Berliner Verwaltung traf diese Entscheidung, um eine übermäßige Abhängigkeit von einer Energiequelle zu vermeiden, ein Schritt, der besonders klug erschien, nachdem die Sowjetunion die Stadt von Juni 1948 bis Mai 1949 blockiert hatte. Für viele West-Berliner symbolisierten die Lampen die Unabhängigkeit vom kommunistischen Ost-Berlin, das baute ein überwiegend elektrisches Netz.

Bis zum Ende des Kalten Krieges erleuchteten etwa 44.000 Gaslaternen Berlin; heute liegt diese Zahl eher bei 23.000. Fünf ikonische Designs sind erhalten geblieben, darunter schief aussehende Lampen in Form hoch aufragender Bischofsstäbe und neugotische Laternen, die auf den Entwürfen des preußischen Architekten Karl Friedrich Schinkel basieren. Jeder brennt zwischen vier und neun Mänteln.

Der erste wirklich konzertierte Versuch, die Lampen zu ersetzen, erfolgte im Jahr 2007, als der Senat, das Regierungsorgan Berlins, zu argumentieren begann, dass Gas ineffizient, teuer und schmutzig sei; Der jährliche Energieverbrauch einer Vierflammenlampe liegt knapp unter dem eines Drei-Personen-Haushalts. Offiziellen Zahlen zufolge wird die Umstellung auf LEDs die Kohlendioxidemissionen der Stadt um 9.200 Tonnen senken und etwa 25 Millionen US-Dollar pro Jahr einsparen. Nach rascher Zustimmung begann 2011 das Sanierungsprogramm des Senats. Bei durchschnittlich 2.000 umgerüsteten Lampen pro Jahr wird es noch weitere zehn Jahre dauern, bis die Sanierung abgeschlossen ist.

„Ich kann mir Berlin ohne Gaslichter nicht vorstellen“, sagt Bertold Kujath, Gründer von Gaslicht-Kultur eV, einem Verein, der sich für den kulturellen Wert der Lampen einsetzt. Als wir uns vor den schmiedeeisernen Toren von Schloss Charlottenburg zu einer Radtour zu den Lampen der Gegend treffen, erinnert er sich an Kindheitserinnerungen an den Aufstieg auf ihre Masten. „Schau, es geht los!“ ruft er, als in der Dämmerung eine nahegelegene Schinkel-Lampe flackert.

Obwohl Kujath sich seit Mitte der Achtzigerjahre für den Schutz der Lampen einsetzt, gründete er 2010 Gaslicht-Kultur, kurz bevor der Senat den Umbauarbeiten zustimmte. Damals hielt er es für notwendig, der Denkmalschutzbewegung „einen Namen zu geben“ und eine formelle Einheit zu gründen. Die Bemühungen, die Lampen zu retten, gewannen 2014 an Fahrt. Gut besuchte öffentliche Versammlungen des Vereins, Anerkennung durch die World Monument Watch und Experten, die den Schutz durch die UNESCO forderten, sorgten für breite Unterstützung. Die Befürchtung war, dass die Berliner Beamten nicht nur das industrielle Erbe der Stadt, sondern auch einen funktionierenden Teil ihrer Infrastruktur verschrotten würden, der in dieser Größenordnung nirgendwo sonst auf der Welt existiert. Dieser Druck zwang den Senat, in ganz Berlin 3.300 Lampen von der Umrüstung zu verschonen.

Während wir eine breite Allee entlang radeln, kommt ein einsamer fünfarmiger Kandelaber in Sicht. Da nur zwei Laternen brennen, wirkt seine imposante Silhouette verloren in der Dunkelheit. Kujath beschreibt ihren früheren Glanz und äußert seine Besorgnis darüber, dass diese geschützten Lampen nun in Gefahr sind. Auf Nachfrage räumt der Senat Ausnahmen ein. „Es gibt Bereiche, in denen wir nachrüsten dürfen, obwohl sie unter Denkmalschutz stehen. Diese Lampen werden so umgerüstet, dass die LEDs praktisch nicht mehr zu unterscheiden sind“, sagt Sara Lühmann, Sprecherin des Umweltministeriums. Ein im Jahr 2022 gefasster Beschluss räumte dem Austausch der Lampen jedoch besondere Priorität ein – als Ersatz müssen lediglich moderne LEDs auf schlichten Laternenpfählen montiert sein.

Der Hintergrund eines weiteren Krieges, einer Krise der Lebenshaltungskosten und steigender Benzinpreise haben die Lage der Lampen noch prekärer gemacht. Es überrascht nicht, dass die Aufmerksamkeit der Menschen woanders liegt. Sind die Medien erst einmal sympathisch, kritisieren sie die Lampen auch schnell. RBB24, ein beliebter regionaler Nachrichtensender, bezeichnete sie letztes Jahr in einem Artikel als „Energiefresser“. Der Kommentarbereich des Artikels ist noch weniger nachsichtig.

Ist angesichts der aktuellen Ereignisse Zeit für Nostalgie? Laut Stephan Völker, Vizepräsident der Technischen Universität Berlin, lautet die Antwort nein. „Aus technologischer Sicht gibt es keinen Grund, sie auf der Straße zu belassen“, sagt er, „sie gehören in ein Museum.“ Für Völker, einen führenden Experten für Lichttechnologie, der für den Senat LED-Alternativen entwickelt hat, ist der Betrieb der Lampen „unverantwortlich“ und der Austausch sollte oberste Priorität haben.

Kujath kontert mit seinen eigenen Umweltbedenken. Strom braucht immer noch eine Quelle – etwa die Verbrennung von Kohle, auf die Deutschland seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine um 19 Prozent stärker angewiesen ist. Auch elektrisches Licht hat verheerende Auswirkungen auf das lokale Ökosystem. In einer Sommernacht tötet ein einziges Licht etwa 250 Insekten; im Vergleich dazu ist Gas harmlos. Dennoch glaubt er, dass diese Argumente den Senat nicht aufhalten werden.

Am Ende unserer Tour scheint sich Kujath mit dem Schicksal der Lampen abgefunden zu haben. Seine einzige Hoffnung ist, dass Berlins schwerfällige Bürokratie die Dinge verlangsamt. Für ihn sind LEDs nicht dasselbe wie Gas. „Wir müssen sie als Kulturgut begreifen, das es zu bewahren gilt. Gaslampen gibt es nur in Berlin, genau wie Gondeln in Venedig und Straßenbahnen in San Francisco“, sagt er. In einer Stadt, in der die Glut der Geschichte noch schwebt, scheinen die Aussichten für diese sagenumwobenen Lampen nicht so rosig zu sein.